Naqba – wie eine neue Interpretation der Fakten auf beiden Seiten eine Wirklichkeit erschaffen kann, in der alle zu Gewinnern werden
Die Erfahrung einer gravierenden Ungerechtigkeit ist nicht selten der Beginn eines langen Weges ins Unglück. Etwas in der Art, scheint mir, hat sich im Nahen Osten ereignet, als den arabischen Nachbarn 1947 zugemutet wurde, Palästina mit Juden zu teilen, und zwar nicht, indem sie sie als Mitbürger akzeptieren, sondern indem sie einen Teil des Landes an sie abtreten.
Nach ihren Erfahrungen mit jahr- hundertelanger osmanischer Hegemonie und dem westlichen Kolonialismus fanden die arabischen Nachbarn das als nicht zumutbar. Deshalb verweigerten sie ihre Zustimmung im Grunde bereits 1917, als der britische Außenminister Balfour erklärt hatte, dass Großbritannien für die Einrichtung einer Heimstatt für das jüdische Volk in Palästina eintreten würde. Das zumindest meinte die Palästinensische Verwaltung am 99. Jahrestag dieser Erklärung. Da nämlich nannte sie dieses britische Projekt ausdrücklich „kriminell“ und „kolonialistisch“ und forderte Wiedergutmachung.
In den Ohren vieler Menschen im Westen mag das krass klingen. Für mich ist es nicht überraschend. Wenn ich an die besondere Beziehung der Juden zu diesem Land denke, kann ich die Empörung verstehen.
Wenn den Juden erlaubt würde, ihren Staat in und um Jerusalem herum zu bilden, wäre es denkbar, dass sie früher oder später die Legitimität eines der höchsten muslimischen Heiligtümer infrage stellen – al Haram ash Sharif, das seit mehr als 1300 Jahren genau den Platz einnimmt, an dem der Tempel der Juden gestanden hat, bevor er von den Römern zerstört wurde. Vor allem das aber konnte die muslimische Umma nicht akzeptieren. Hauptsächlich aus diesem Grund durften die arabischen Staaten eine Heimstatt der Juden in Palästina nicht akzeptieren. Es stellte ein wesentliches Element der muslimischen Identität infrage.
Und heute, wo der Staat Israel seit sieben Jahrzehnten existiert, steht der Anspruch der Juden auf den Tempelberg nur deshalb nicht auf der Tagesordnung, weil im Friedensvertrag mit Jordanien eindeutig festgelegt wurde, dass der heilige Berg, auf dem der Felsendom und die Al- Aqsa- Moschee stehen, ein rein islamisches Heiligtum ist und dass Juden zwar das Recht haben, den Berg als Touristen zu besuchen, aber kein Recht, ihn für sich zu beanspruchen oder dort auch nur zu beten.
Tatsächlich aber nimmt die Zahl der Juden, die sich an diesen Status quo nicht mehr gebunden fühlen, stetig zu; immer mehr Juden beten trotzdem auf ihrem Tempelberg; und daher wächst die Wahrscheinlichkeit, dass die aus diesem Grund immer neu aufflammenden Unruhen in absehbarer Zeit zu einem offenen Konflikt führen werden.
Vorbeugend hat der Mufti von Palästina, Sheikh Muhammad Ahmad Hussein, am 25. Oktober 2016 im israelischen Fernsehen erneut erklärt, dass es dort nie einen jüdischen Tempel gegeben hat.
All diese Probleme waren 1947 bereits abzusehen, als die UNO eine Teilung Palästinas vorschlug, um eine Heimstatt für die Juden in deren ehemaliger Heimat zu ermöglichen – 30 Jahre nach der Balfour-Erklärung und zu einer Zeit, als der Horror des Holocaust noch sehr präsent war.
Als die UNO zu dieser Zeit an die Nachbarn Palästinas appellierte, einer Teilung des Landes zuzustimmen und Vorschläge dazu zu machen, verweigerten sich die Nachbarn. Sie waren weder imstande, Mitgefühl mit den gerade erst dem Holocaust entkommenen Juden zu empfinden, noch konnten sie sehen, dass Zumutungen wie Gebietsteilungen oder Umsiedlungen im Gefolge der beiden Weltkriege vielen anderen Bevölkerungsgruppen ungefragt aufgezwungen worden sind. Während die meisten betroffenen Völker ihr Schicksal als unvermeidlich akzeptierten, konnten die Nachbarn Palästinas das nicht hinnehmen. Ihre Beziehung zu ihrem großen Heiligtum in Jerusalem und dessen Bedeutung für ihre Religion erlaubten ihnen nicht, zuzustimmen. Im Gegenteil, sie wollten gegen diese Teilung mit allen Mitteln kämpfen.
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